Wozu braucht man heute noch manuelle Übersetzungen?

Wenn ich einen Text in einer fremden Sprache sehe und wissen will, was da steht, kopiere ich ihn mal eben in ein online verfügbares Programm oder klicke auf den vorhandenen Link Übersetzen in meiner Anwendung – und schon sehe ich den Text auf Deutsch. Wo ist das Problem?

Wie sieht das Ergebnis einer Maschinenübersetzung aus?

Es gibt bessere und schlechtere Übersetzungsprogramme. Die weniger guten liefern meist einen Wortsalat, aus dem man den ungefähren Sinn des Ausgangstextes erraten kann oder auch nicht. Die guten liefern in der Regel grammatisch und oft auch stilistisch korrekte Ergebnisse. Man kann sich aber nicht darauf verlassen, dass der Sinn dem des Originals entspricht. Häufig werden einzelne Sinneinheiten weggelassen oder ersetzt, so dass die Aussage manchmal sogar ins Gegenteil verkehrt wird.

Allerdings hängt die Qualität nicht nur vom genutzten Programm ab, sondern auch sehr stark von der Ausgangs- und Zielsprache und vom Themenbereich. Je mehr (gute) Übersetzungen bereits vorliegen, desto besser ist die automatische. Außerdem werden die besseren Übersetzungen bei Texten erzielt, die viele Fachausdrücke enthalten. Ein solcher Ausdruck kann und sollte in einem Fachtext normalerweise immer gleich übersetzt werden. Das erkennt man auch daran, dass verschiedene Personen und Maschinen hier sehr ähnliche oder auch exakt gleiche Übersetzungen liefern: Reihenmotoren haben meist zwei NockenwellenIn-line engines usually have two camshaftsРядные двигатели обычно имеют два распределительных вала.

Jetzt aber noch ein paar Beispiele für falsche Maschinenübersetzungen!

Gehaltsvergleich

Eine Übersetzung aus dem Russischen:

Хоть я и зарабатываю втрое меньше вас, но без вас мы обойдемся.

Deutsche Umschrift: Chot ja i sarabatywaju wtroje mensche was, no bes was my oboidjomsja.

(Ich verdiene zwar nur ein Drittel von dem, was Sie verdienen, aber ohne Sie könnten wir auskommen.)

DeepL, ein renommiertes Online-Übersetzungsprogramm, liefert:

Auch wenn ich dreimal so viel verdiene wie Sie, kommen wir ohne Sie aus.

Kennt das Programm also den Unterschied zwischen den russischen Wörtern für mehr und weniger nicht? Ich erweitere den Satz noch etwas:

Хоть я и зарабатываю втрое меньше вас, но без вас мы обойдемся, а без меня никак.

Deutsche Umschrift: Chot ja i sarabatywaju wtroje mensche was, no bes was my oboidjomsja, a bes menja nikak.

(Ich verdiene zwar nur ein Drittel von dem, was Sie verdienen, aber ohne Sie könnten wir auskommen und ohne mich geht es nicht.)

Die Maschine sagt jetzt auf einmal:

Auch wenn ich dreimal weniger verdiene als Sie, können wir auf Sie verzichten, aber nicht auf mich.

Jetzt hat sie es also doch kapiert! Wobei dreimal weniger zu wörtlich und kein gutes Deutsch ist, aber wenigstens ist der Sinn der Aussage verständlich.

Nein, selbstverständlich hat die Maschine nichts kapiert, nur andere Texte als Vorbild genommen. Aber wie wir gleich sehen werden, kann man sich keineswegs immer darauf verlassen, dass mehr Kontext – wie hier – zu einer genaueren Übersetzung führt.

Küsschen mitten im Chat?

Чмоки всем в этом чатике!

Deutsche Umschrift: Tschmoki wsjem w etom tschatike!

(etwa: Schmatzer/Küsschen an alle in diesem Chat!)

Чмоки (Tschmoki) ist ein lautmalerisches Wort, das das Schmatzen eines Kusses oder Luftkusses nachahmt. Чатик (Tschatik) ist das englische Wort Chat mit einem Verkleinerungssuffix. Dadurch wird nicht unbedingt gesagt, dass der Chat klein ist, sondern dass er nett ist oder dass man ihn jedenfalls irgendwie mag. Aber so weit, dass man die Teilnehmer im Deutschen wirklich mit Küsschen begrüßen würde, geht die Sympathie eher nicht.

DeepL gibt für чмоки всем den Ausdruck

xoxo an alle

XOXO: Umarmungen und Küsse (hugs and kisses). Das X steht für einen Kuss, das O für zwei Arme, die eine andere Person umschließen.

heraus. Wow, das ist ins Schwarze getroffen! Genau so etwas schreibt man im Chat. Superprogramm! Und nun ... vervollständige ich den Satz (immer noch mit kleinem Anfangsbuchstaben und ohne Ausrufezeichen am Ende) und erhalte:

mitten in diesem Chatroom

Chatroom ist übrigens eine gute Idee. Aber wo ist die Begrüßung geblieben? Als Alternativen werden noch die Formulierungen mitten in diesem Chatraum und direkt in diesem Chatroom geboten. Hä?

Und jetzt setze ich das Ausrufezeichen:

smoochie an alle in diesem Chatroom!

Was bitte ist smoochie? Schreibt man das heutzutage im Chat? Auf Deutsch?

Zu guter Letzt ersetze ich den ersten Buchstaben durch einen Großbuchstaben – und erhalte folgendes Ergebnis:

Mwah! Mwah! Mwah! Mwah! Mwah! Mwah! Mwah!

Na bitte! Kein Kommentar ...

Was kann eine künstliche Intelligenz?

Ganz allgemein gesagt: zwei Dinge:

Das Abarbeiten von Algorithmen, also das Befolgen festgelegter Regeln, ist eigentlich die grundlegende Funktionsweise aller Computerprogramme. Von daher verwundert es, dass die Grammatik bei maschinellen Übersetzungen normalerweise nur dann stimmt, wenn sie sehr gut auf die Nr. 2, in diesem Fall also die Analyse und Nutzung vorhandener Texte, getrimmt sind. Offenbar sind die Regeln der Sprache zu komplex, um sie als festes Regelwerk einzupflegen.

Aber genau das – Regeln befolgen und andere nachahmen – tun wir ja beim Übersetzen und überhaupt beim Sprechen auch! Was ist es nun, was die künstliche Intelligenz nicht kann?

Ein Programm kann nicht verstehen, was gemeint ist.

Korrekte Grammatik und guter Stil geht grundsätzlich auf Kosten der Wiedergabe jedes einzelnen Wortes. Auch ein Mensch, der gut übersetzt, lässt dafür einzelne Begriffe unter den Tisch fallen – aber er weiß dann, dass es sich nicht um wichtige, sinnstiftende Begriffe handelt. So weiß jeder, dass good afternoon guten Tag heißt und nicht guten Nachmittag.

Ein Mensch kann sich die Aussage eines Satzes bildlich vorstellen oder auch eine Skizze oder ein Schema des Inhaltes ohne Verwendung von Worten aufmalen. Und er weiß, was auf diesem Bildchen oder in der bewegten Szene wichtig oder unwichtig ist. Anstatt Reihenmotoren haben meist zwei Nockenwellen könnte man genauso gut auch sagen: Ein Reihenmotor hat normalerweise zwei Nockenwellen. Die Mehrzahl ist hier nicht sinnstiftend, man stellt sich einen Motor stellvertretend für viele vor. Ebenso sieht man bei good afternoon eine höflich grüßende Person, während man im Hintergrund weiß, dass es zwischen 12 und 17 Uhr ist. Und bei Tschmoki... eine jugendliche, wahrscheinlich weibliche Person, die einen gern besuchten Chatraum betritt und ihre Freunde, soweit sie dort anwesend sind, herzlich begrüßen möchte.

Aber auch Menschen machen Fehler!

Das ist schon wahr. Menschen machen sogar viele Tipp- und Flüchtigkeitsfehler, die so ein Programm nicht machen würde. Menschen mit wenig Erfahrung neigen auch dazu, die Grammatik der Zielsprache (auch wenn es ihre Muttersprache ist!) zu verbiegen, um näher am Original zu bleiben (Stichwort dreimal weniger). Wer es eilig hat, kann auch mal den Ausgangstext nicht richtig lesen und ein Drittel mit dem Dreifachen verwechseln.

Aber eine professionelle Übersetzerin oder ein professioneller Übersetzer hat eine sprachwissenschaftliche Ausbildung und ist sensibel für diese Fehlerquellen, liest die fertigen Texte noch mehrfach durch, um verschiedene Fehlersorten aufzuspüren, und weiß nicht zuletzt auch die elektronischen Helferlein zu nutzen – von der einfachen Rechtschreibprüfung bis hin zu spezieller Übersetzersoftware, die dabei hilft, den Überblick über die Fachausdrücke zu behalten, Ausgangs- und Zieltext gleichzeitig im Auge zu haben und noch einiges mehr. Und hier können nun auch die Maschinenübersetzungen als Ideengeber ins Spiel kommen (Stichwort xoxo).

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